Die kleine Kneipe

Es war einmal eine kleine Kneipe am Rande einer nicht zu großen Stadt, nur etwas am Rande, nicht zu viel. Aber weit genug, um nicht mehr zentral zu sein. Diese kleine Kneipe gehörte einem kleinen Mann – nennen wir ihn Karl.

Und weil der kleine Mann mal groß sein wollte, hängen wir hinten einfach ein König dran und haben so einen Karl König.

Karls Laden lief schon lange nicht mehr richtig gut. Zum einen hatte er schon kurze Zeit nach Eröffnung aufgehört, sich über ein Morgen Gedanken zu machen und lieber das Heute gelebt und dem Gestern hinterher geweint.

Zum anderen war er ohnehin nicht überaus verantwortlich für sein Schicksal. Gab es doch so viele Argumente, warum es nicht laufen konnte. Der Ölpreis nach der OPEC Krise, die Zeit vor dieser, unserer Wende, das Abebben der 80er, der Zusammenfall der DDR, der Aufbau Ost, der Euro und die hohe Arbeitslosigkeit – viel Gründe sprachen dafür, nicht selbst schuld sein zu müssen.

Aber in der Tat lag die Gegend rund um die kleinen Kneipe des Mannes, den wir Karl nennen, in einer Gegend, die eher von hoher Arbeitslosigkeit und einem geringen Einkommen geprägt war. Und deswegen brauchte er neue Ideen und neue Wege.

Die lieferte ihm ein findiger Berater. Der braucht hier keinen Namen. Er sagte zu Karl, er muss dem veränderten Konsumverhalten seiner Gäste Rechnung tragen. „Karl, in heutiger Zeit spart niemand mehr für Anschaffungen. Die Leute leben lieber heute als morgen.“

Also machte sich Karl auf, neue Wege zu gehen. Und führte das ein, was sein Vorgänger vor unendlich langer Zeit mal abschaffte: Den Deckel.

Mit einem kleinen Kredit seiner Brauerei – immerhin stieg der Bierabsatz deutlich, schaffte es Karl nicht nur, seine seltener kommenden Gäste dazu zu bringen, täglich bei ihm Gast zu sein, er warb mit seinem neuen Konzept noch unzählige neue Gäste an. Der Laden brummte.

Gut laufende Läden, sagte der Berater von Karl, können höhere Preise verlangen. Das hätte mit Angebot und Nachfrage und so zu tun.

Das verstand Karl. Immerhin war er jetzt ja richtiger Unternehmer. Und bis zu zweimal die Woche schrieb er die Preistafel neu. Die Gäste störte es nicht – sie mussten ja nicht wirklich zahlen ….

… und sicherlich wäre die Geschichte nicht so glücklich wie anfangs gedacht für Karl ausgegangen, wenn nicht ….

… sein Berater jemand gekannt hätte, der jemanden kannte, der wusste, wo der zu finden war, der da was weiß. Und dieser eine Mensch hatte die Lösung für Karl:

„Karl, ich habe eine Lösung für dich,“ sagte er, „wenn Du mir etwas Rabatt gibst, sagen wir 15 %, kaufe ich Deine Deckel auf. Unbesehen. Alle auf ein Mal. Gegen sofortige Zahlung.“

Da musste Karl nicht lange überlegen. Er hatte nicht zu befürchten, dass seine beliebte Art litt, wenn er mal jemanden auf einen Deckel ansprechen sollte und außerdem hatte er schon so oft die Preise erhöht, dass er 15% gar nicht merkte. Das Angebot, ab sofort jeden Montag alle Deckel aufzukaufen, klang fast utopisch. Aber sein Berater klärte Karl auf, dass das ganz normal war und alle Branchen so arbeiten.

Der, der die ganzen Deckel kaufte, kannte aber auch wieder eine Menge Menschen, die von Bausparverträgen und so nicht viel hielten und lieber mehr Geld verdienen wollten. Und ihm Geld gaben, auf dass er es vermehre.

Er machte ein Geschäft auf und teilte die ganzen Deckel von Karl in kleine Stücke. Die er dann Bier-Bonds, Fernet-Zertifikate, Korn-Optionen und Wodka-Futures nannte. Mit einigen Freunden, die viele Menschen in Zeitungen kannten und regelmäßig bei Karl einkehrten, machte er aus, dass die bei Karl nichts bezahlen mussten – wie alle anderen eigentlich auch – und auch keinen Deckel machten. Die sorgten dafür, dass sich immer Menschen für Optionen und Zertifikate dieser Art interessierten und so Karl immer mehr Deckel machen konnte.

Karl hatte mittlerweile schon Kneipen in ganz Deutschland. Über 200 Stück sind es geworden, die Branche wurde zum Geheimtipp, weil es für wenig Arbeit viel Geld zu verdienen gab als Geschäftsführer einer Filiale. Oder in der Verwaltung der Deckel, der Abrechnung, der Auflage neuer Papiere und natürlich im Marketing des Mannes, der Karl immer noch jeden Montag die Deckel abkaufte ….

… bis er eines Montags nicht bei Karl erschien.

Statt dessen der Manager seiner Bank, der bei den Gästen von Karl die ersten Raten für die fälligen Deckel einziehen wollte. Die Gäste konnten – wer hätte es anders gedacht – nicht zahlen und beriefen sich darauf, dass sie schon beim ersten Angebot von Karl, Deckel zu machen, gesagt hatten, sie würden nie das Geld haben, mehr als die damals üblichen zwei Besuche pro Monat zu bezahlen. Aber Karl hätte gesagt, dass sei kein Problem.

Die Manager der Bank bestanden aber darauf, ihr Geld zurück zu erhalten, das sie nach eigenen Worten wohlüberlegt investiert hatten. Obendrein seien sie verantwortlich für die Einlagen ihrer Kunden, so sagten sie, die immerhin jahrelang hart arbeiten mussten, um die empfohlenen Papiere kaufen zu können.

Karl ging – so wird es jeder erwarten – Pleite. Seine mittlerweile 738 Läden, die er mittlerweile in der Karl König Group vereinte, wurden geschlossen, die Manager erhielten neue Jobs, die Arbeiter von Karl zogen Wartenummern beim Arbeitsamt.

Die Kunden von Karl erhielten nach einigen Schreiben Besuch vom Gerichtsvollzieher, der die wenigen Habseligkeiten mitnahm. Wer arbeitete, durfte sich bei seinem Chef wegen der vorliegenden Gehaltspfändung – wegen Kneipenschulden – rechtfertigen.

Die Banker? Arbeiten noch bei der gleichen Bank? Nein, dieses ist ja kein Märchen.

Die Banker sind nicht mehr bei ihrer Bank, sondern mittlerweile im internationalen Investmentbanking tätig. Nach der Kneipenkrise machten sie Geschäfte mit Immobilien in den USA – derzeit vermutet man sie im weltweiten Lebensmittelhandel, wo sie versuchen, asiatischen und afrikanischen Bauern Geschäftsmodell nahe zu legen…