Kaviar - eine überschätzte Delikatesse?

Kaviar – eine überschätzte Delikatesse?

Keine andere Spezialität ist so begehrt wie der Kaviar, der Rogen vom Stör. Als Delikatesse steht er auf der Speisekarte der Luxusprodukte neben Champagner, Trüffeln, Austern und Gänseleber. Sein Preis ist astronomisch, sein Genuss für Liebhaber unvergleichlich. Kaviar essen heißt, am Luxus teilzuhaben.

Kaviar – eine überbewertete Speise?

Der Verzehr von Kaviar gehörte ab dem 19. Jahrhundert zu den Leidenschaften der oberen russischen Gesellschaft und war dementsprechend ein Statussymbol: Ein vermögender Haushalt hielt es für selbstverständlich, ständig mehrere Kilo des Luxusgutes in Bereitschaft zu halten für den Fall, dass unerwartete Gäste kämen. Auch heute noch ist der Kaviar Symbol des Luxus und des Wohllebens. Für seltene Fänge, die ein besonders großes Korn ergeben, werden unter Millionären Höchstpreise gezahlt – und zur Zaren-Zeit war es für die Fischer selbstverständlich, diese „glücklichen Fänge“ zunächst dem Herrscher zu offerieren.

Den Lieferanten des Kaviars, den Stör, hat diese hohe Wertschätzung fast das Leben gekostet. Die weltweite Nachfrage nach der Delikatesse kollidierte heftig mit dem Aufkommen bedeutender Erdölfunde im Kaspischen Meer, dem Lebensraum der meisten Störe. Die Bestände waren schnell leergefischt, das Erdöl entzog den Stören die Lebensgrundlage – und die Folge waren ständig steigende Preise, die aus dem einstigen Volksnahrungsmittel (die Fischer aßen neben Kartoffel praktisch nichts anderes) eine immens teure Delikatesse machten.

Vom Hühnerfutter zum Luxus-Produkt

Ganz so euphorisch wurden die Eier des Störs nicht immer bejubelt. Als die heute in Mitteleuropa fast ausgestorbene Spezies noch in rauen Mengen durch die Gewässer schwamm, galt ihr Rogen als Abfallprodukt. Anfang des 20. Jahrhunderts war Störfisch ein billiges Nahrungsmittel – und Kaviar noch billiger. Der meiste Rogen landete auf den Tellern der Fischer – oder diente schlichtweg als Hühnerfutter. Er war Inbegriff des Arme-Leute-Essens und Grundnahrungsmittel für die Fischer – was die aus heutiger Sicht recht rustikalen Beigaben wie Blinis oder Kartoffeln erklären kann.

Das lag vor allen Dingen daran, dass der frische Fischeier nicht lagerfähig war – und entsprechend schnell verdarb und damit unverkäuflich war. Andererseits wurde diese Verderblichkeit aufgrund der fehlenden Kühlkette schnell interessant für die Herrscherklassen – Zaren, Aristokraten und Adlige fanden es chic, genau wegen dieser Schwierigkeiten einen einwandfreien Kaviar servieren zu können. Man war etwas, wenn man zu Feierlichkeiten mit frischem Kaviar aufwarten konnte.

Kaviar – aus Russland oder dem Iran

Bis zum Jahr 1025 durften ausschließlich russische Fischer das Kaspische Meer – die Heimat der Störe – befischen. Erst im Jahr 1953 öffnete die erste (staatliche) iranische Fischerei und sorgt seitdem dafür, dass kein russisches Monopol entsteht – übrigen mit erstklassiger und unter Experten hochgeschätzter Qualität.

Inzwischen gilt Kaviar weltweit als Prestige für Reiche – und solche, die dazu gehören wollen. Jedoch muss man aufpassen, um nicht an minderwertige Qualität zu geraten. Was derart begeht wird, wird auch von zwielichtigen Händlern angeboten. So kann es passieren, dass man viel Geld für etwas ausgibt, das unsachgemäß behandelt oder gar verfälscht wurde. Vor allem der schwer zu kontrollierende Fischfang am russischen Ufer des Kaspischen Meeres hat einen schlechten Ruf erlangt. Der Kaviar aus Aserbaidschan, vor allem jedoch aus dem Iran hat nach Kennermeinung die zuverlässigste Qualität.

Um den Fortbestand zu sichern, gelten strenge Artenschutzauflagen – auch hier ist es zwingend ratsam, nur bei erstklassigen Händlern zu kaufen, die entsprechend zertifizierte Ware anbieten können.

Alternativen zum Stör

Wer Gaumen und Geldbörse einen Gefallen erweisen will, sollte also vorsichtig sein. Die teuersten Kaviarvarianten sind übrigens nicht die besten. Und die Eier von Lachsen oder Bodenseefischen, orange bis rot und sehr viel preiswerter als jene vom Stör, sind eine nicht zu unterschätzende Konkurrenz.

Pessimisten befürchten sogar, dass Gourmets in Zukunft fast ausschließlich auf diese Varianten zurückgreifen müssen. Die Kaviarproduktion – die des „echten“ – ging nämlich binnen von 25 Jahren von 3000 Tonnen jährlich auf nur noch 150 zurück. Im Kaspischen Meer ist der Stör akut gefährdet, und die in Mitteleuropa, in den USA oder China angelaufenen Zuchtprojekte können die Nachfrage nicht befriedigen. Die Kaviarpreise kennen schon seit Jahren nur eine Richtung – drastisch nach oben.

Kaviar Qualitäten

Kaviar wird sogleich nach dem Fang an Bord spezieller Fangschiffe verarbeitet. Sie zeichnen sich durch extreme Sauberkeit aus und erinnern an schwimmende Operationssäle. Dem Fisch wird der Rogen entnommen, und ein Experte entscheidet nach dem Zustand des Korns, wie der Kaviar später in den Handel kommt. Man unterscheidet folgende Qualitäten:

Frischer Kaviar

Er wird praktisch nicht behandelt und muss deshalb innerhalb weniger Tage verzehrt werden.

Malossol

Bedeutet „schwach gesalzen“ und ist daher keine Kaviarsorte, sondern eine Qualitätsbezeichnung. Bei sachgerechter Lagerung um null Grad Celsius hält er ungefähr ein Jahr.

Pasteurisierter Kaviar

Er wird erhitzt und in Vakuumgläser oder Ringpull-Dosen abgefüllt wie eine Konserve und ist dadurch nahezu unbegrenzt haltbar.

Presskaviar

Beschädigte und minderwertige Rogen werden stärker gesalzen und zu Ziegeln gepresst. Presskaviar ist preiswert, hat aber einen intensiven Geschmack.

Der Vorgang des Salzens dauert nur zehn Minuten und wird von Hand durchgeführt. Dabei wird der Kaviar mit einer genau dosierten Schicht Salz verrieben. Dadurch wird das Korn fest, aber es darf nicht zu fest werden. Nach dieser Behandlung werden die Fischeier in große Dosen gefüllt, die die Nummern der jeweiligen Fische tragen. Es darf nicht der Kaviar zweier Störe in einer Dose vermischt werden. Die Dosen werden in Laderäumen des Schiffes gelagert, um an Land in Portionsdosen umgefüllt und verschickt zu werden.

Kaviar benötigt eine konstante Lagertemperatur um null Grad Celsius. Frost zerstört die Zellstruktur des Rogens für immer, und bei zu warmer Lagerung verdirbt er. Für die weite Strecke vom Kaspischen Meer zum Zarenhof waren daher früher im Winter spezielle Wärmevorrichtungen und im Sommer Kühlverfahren nötig. Die moderne Kühltechnik heute erleichtert den Transport. Eine durchgängige Kühlkette gewährleistet die Qualität des Kaviars. Deshalb empfiehlt es sich auch nicht, die Luxusware aus zweifelhafter Herkunft zu kaufen. Zwar mag er durch einen attraktiven Preis bestechen, ganz sicher war er auf seinen oft abenteuerlichen Wegen an der Legalität vorbei erheblichen Temperaturschwankungen ausgesetzt.

So wird Kaviar gegessen

Kaviar isst man löffelweise und gleich aus der Dose. Dabei sollte man keinen Metall- oder Silberlöffel verwenden, weil dies den Geschmack beeinträchtigt: Löffel aus Horn, Perlmutt oder schlichtweg aus Plastik eignen sich besser.

Zur Prüfung der Qualität verwendete man zu Zeiten der russischen Zaren eine goldene Kugel von der Größe einer Kirsche: Der Kaviar war nur dann gut, wenn die Kugel an der Oberfläche blieb, der Kaviar also fest war. Noch heute kann man bei dem französischen Juwelier Cartier eine solche Kugel erwerben. Diese trägt man an einer goldenen Kette um den Hals – allerdings vornehmlich der Historie wegen.

Auf der feinen Tafel kommt die Luxusspeise in Kristallschalen auf den Tisch, die von einem silbernen Gefäß umgeben sind, in das man Eiswürfel gibt. Es gilt aber durchaus nicht als Verstoß gegen die guten Sitten, die ganze, ein Pfund oder ein Kilogramm fassende Dose zusammen mit einem Eisblock auf den Tisch zu stellen.

Bei den beilagen zum Kaviar wird viel gesündigt. Feinschmecker lehnen gehacktes Ei ebenso ab wie gehackte Zwiebeln oder Zitronenschnitze. Auch saure Sahne ist eine fragwürdige Beigabe, weil sie den zarten Nussgeschmack des Kaviarkorns verwässert. Am besten passen blini, hauchdünne Buchweizenpfannkuchen, Weißbrot mit Butter oder frischgekochte Pellkartoffeln zum Kaviar.

Kaviar und Pellkartoffeln waren über Jahrhunderte die Hauptspeise der Fischer des kaspischen Meeres, die sich durch eine besondere Langlebigkeit auszeichnen – ein nicht ganz von der Hand zu weisendes Indiz dafür, dass die Fischeier sehr gesund sein muss. In der tat erhält er viele Vitamine, Lecithin und Spurenelemente und hat einen enormen Nährwert: Mehr als 100 Gramm Kaviar kann ein im Verzehr nicht geübter Europäer auf einmal kaum bewältigen, selbst wenn er sich die damit verbundene Ausgabe leisten kann.