Ein Plädoyer für Echtheit und Wertschätzung – von Stephanie Christ, Gastro Concierge
Teil 1 – Der Bewerbungseingang und die Einladung zum Gespräch
Freude herrscht! Nach langer Durststrecke stapeln sich in unserem E-Mail-Posteingang die Bewerbungen für die ausgeschriebene Stelle. Doch halt, wie geht es hier weiter? Soll man die Bewerber sofort anschreiben? Oder wirkt das zu bedürftig? Und wie verfasst man überhaupt eine zeitgemäße Einladung zum Vorstellungsgespräch? Sind höfliche Dankesbekundungen in Zeiten von Emojis und GIFs noch relevant oder eher ein Relikt vergangener Tage? Diese Fragen tauchen auf, sobald der Bewerbungsstrom in Fahrt kommt.
Stephanie Christ ist Spezialistin im Onboarding von Menschen aus dem In- und Ausland. Ihr Ziel ist es, eine nachhaltige und motivierende Arbeitsumgebung im gesamten Gastgewerbe zu schaffen.
Strategien für einen erfolgreichen Start
Die Bewerbung ist eingetroffen. Was ist zu tun? Sofort zurückschreiben und riskieren, übermotiviert zu wirken? Oder lieber zappeln lassen?
«Wenn Sie einen guten Grund kennen, nicht innerhalb von 24 Stunden auf eine Bewerbung zu antworten, verraten Sie ihn mir gerne. Wie lange lassen wir uns Zeit, bis wir auf die Anfragen unserer Gäste reagieren? Der Standard in vielen Häusern ist eine Zeitspanne von maximal 24 Stunden. Warum sollte diese Norm nicht auch bei unseren Bewerbern gelten? Wir investieren mittlerweile unzählige Ressourcen in die perfekte Stellenanzeige. Aber sobald die ersten Bewerbungen eintrudeln, sind wir uns zu fein, direkt zu antworten. Aus Angst, verzweifelt zu wirken. «Mach dich rar und du bist der Star» ist hier kein cleveres Motto. Ich empfehle: «Authentizität statt Spielchen».
Was sind Ihrer Meinung nach die Schlüsselkomponenten für einen gelungenen Bewerbungsprozess?
Als Gastgeber mit Herz konzentrieren wir uns darauf, unseren Gästen ein perfektes Gästeerlebnis zu bieten. Perfekter Service, perfektes Menü, perfektes Ambiente. Gäste glücklich machen können wir – lassen Sie uns unsere zukünftigen Mitarbeiter auch vom ersten Moment an glücklich machen. Und wenn der Bewerber doch nicht bei uns anfängt? Dann wird er sicher trotzdem seinem Umfeld davon erzählen, wie verblüffend anders unser Kontakt war und unbewusst unser Image als Arbeitgeber fördern.
Mein Wunsch: Schaffen wir ein Bewerbererlebnis mit Herz: Eine reibungslose und freundliche Kommunikation, klare Informationen über den Bewerbungsprozess, eine wertschätzende Behandlung, übertroffene Erwartungen. Danke schön, bitte schön, wir freuen uns, du bist uns wichtig. Wir sind Gastronomen, das liegt uns im Blut.
Bewerbungsprozess – vom Umgang mit ungeeigneten Bewerbern
Was aber tun mit den scheinbar ungeeigneten Bewerbern? Soll ich diese gleich ablehnen oder erst die Vorauswahl abwarten?
«Sie kennen sicher den Mini-Me-Effekt? Wir neigen dazu, Menschen einzustellen, die uns ähnlich sind. Wir halten sie sogar für die besseren Kandidaten.Die Folge: Uniformität anstatt Vielfalt. Anhängern des Bauchgefühls rate ich daher, sich nicht nur auf die scheinbar Besten zu konzentrieren. Fragen Sie sich lieber: Wer ergänzt uns am besten? Schauen Sie sich nach «Anderen» um. Manchmal können auch frische Perspektiven und der Wille zur Weiterentwicklung wertvoller sein als jahrelange Erfahrung. Häufig entdecken wir bestimmte Talente erst im persönlichen Gespräch. Ein fröhliches, aufgestelltes Wesen lässt sich mitunter schlecht aus dem Lebenslauf herauslesen. Diese Person muss man erlebt, ihr Lachen gehört und gespürt haben.»
Das Vorstellungsgespräch
Und wie lade ich die Menschen zum Gespräch ein?
Ihre Gäste planen eine Hochzeit mit 80 Personen. Wie vereinbaren Sie den Absprachetermin? Für unser Bewerbererlebnis sollte auch hier wieder Gleiches wie im Umgang mit unseren Gästen gelten. Verschaffen Sie Ihrer Freude über die Bewerbung und darüber, eine neue Persönlichkeit und ein potenzielles Teammitglied kennenzulernen, mit positiven Worten Ausdruck! Die Grundhaltung in der Mitarbeiterführung baut auf Respekt, Toleranz und einem Miteinander auf. Und nicht auf Überheblichkeit und Angst vor Machtverlust.
Vor einigen Tagen erhielt ich die Initiativbewerbung für eine Position, die im Unternehmen nicht angeboten wird. Im Anschreiben erwähnte die Bewerberin persönliche Erlebnisse mit Ihrer Familie im Betrieb. Meine Antwort? Innerhalb von 8 Stunden, wertschätzend, individuell und auf ihr Erlebnis eingehend: «Schön, dass Ihnen die Konfirmation Ihrer Schwester in guter Erinnerung geblieben ist und unsere Branchenkollegen Empfehlungen für uns aussprechen – das wissen wir zu schätzen und freut uns sehr!»
Für die gewünschte Stelle musste ich ihr leider absagen. Trotzdem wird sie sich in den kommenden Tagen Zeit für uns und ein persönliches Kennenlernen nehmen. Denn wer weiß, mit welchen Talenten sie unser Team stattdessen bereichern und ergänzen kann?