Wer noch das Glück hatte, das Kochen von Mama und Oma zu erlernen, hat quasi mit der Muttermilch aufgesogen, Fleischporen durch Anbraten zu schließen. Jahrzehntelang galt der Grundsatz, dass Fleisch zügig und kräftig angebraten werden muss, damit sich die Poren des Fleisches schnell schließen und der Fleischsaft nicht verloren geht.
Dass dieses Küchengesetz auch heute noch in aller Munde ist und selbst von Fachleuten, Fachmedien und Spitzenköchen propagiert wird, ist nicht weiter verwerflich: Mediales Abschreiben und Nachplappern ist nicht mehr als die moderne Form der historischen Überlieferung.
Es steht dem biblischen Grundsatz, die Eltern zu ehren, aber nicht entgegen, sich die Frage zu stellen, ob die überlieferte Küchenweisheit auch tatsächlich stimmt und wie im wirklichen Leben helfen dabei eigenes Denken und Beobachten.
Dass Fleisch keine Poren hat, sollte spätestens seit dem Biologieunterricht bekannt sein, Thema: Aufbau der Haut. Dennoch zirkulieren im Fleisch Säfte, also gibt es dort irgendwelche Kanäle. Durch diese Kanäle kann nun tatsächlich Fleischsaft austreten, was sich an frischem Fleisch gut beobachten lässt. Diesen Austritt von Saft gilt es nun weitestgehend zu verhindern. Dass scharfes Anbraten aber nicht des Rätsels Lösung ist, erkennt man leicht daran, dass auch nach dem Anbraten noch flächendeckend Saft austritt.
Die Maillard-Reaktion sorgt für Röstaromen
Was ist passiert? Anbraten produziert in erster Linie Röstaromen. Dahinter verbirgt sich ein recht komplizierter chemischer Vorgang, die so genannte Maillard-Reaktion. Gleichzeitig bewirken die hohen Temperaturen aber auch das Gerinnen des Eiweißes im Fleisch und damit das Verschließen der Saftkanäle im Fleisch. Dieser Vorgang beginnt naturgemäß an der Außenseite, weil dort die Temperatur am höchsten ist. Das Fleisch ist damit so gut es geht verschlossen.
Führt das Anbraten also doch zur Versiegelung? Ja und nein. Beim Anbraten werden zwar keine Poren „zugebruzzelt“ aber die geronnenen Eiweiße verschließen das Fleisch sehr wohl, nicht vollständig aber doch recht ordentlich. Interessant daran ist jedoch, dass die Gerinnung des Eiweißes bereits oberhalb von 50°C beginnt.
Es braucht also keinesfalls das heiße Anbraten, um die Poren des Fleisches zu verschließen.
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